Geschichte des Stadttheaters Brno
Bestrebungen zur Gründung einer zweiten Schauspielbühne in Brünn gab es schon in der Zwischenkriegszeit, doch erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, bereits Ende Mai 1945, gelang es einer Gruppe junger Theaterkünstler unter der Leitung des fünfundzwanzigjährigen Regisseurs Milan Pásek, eine entsprechende Lizenz zum Betrieb eines Schauspieltheaters zu erhalten. Das Ensemble begann sein Wirken unter dem Namen Freies Theater in der Falkensteinerova ulice (heute Gorkého) und konnte in dieser Probezeit mit fünf Premieren neuer Stücke aufwarten. Nach der Zahl der Vorstellungen waren Vítězslav Nezvals tschechische Neuheit Manon Lescaut sowie Pseudolus von Plautus damals die erfolgreichsten Inszenierungen. Innerhalb von vier Jahren (bis zum Ende der Spielzeit 1948/1949) hatte das Theater 71 Premieren und mehr als tausend Vorstellungen auf seinem Konto. Hinter diesem Erfolg standen jugendlicher Elan und die Begeisterung des Publikums, eine große Rolle spielte auch der übergroße Hunger nach Kultur in den ersten Jahren nach dem Krieg.
Doch schon bald standen die nächsten Veränderungen an. Die Bühne musste (wie auch alle anderen Theater) nicht nur ihr künstlerisches Konzept überarbeiten, sondern sich auch einen neuen Namen zulegen – so wurde sie denn zum Stadt- und Regionaltheater. Dieser Name galt jedoch nur für ein Jahr, bevor die neue Bezeichnung Kreisregionaltheater eingeführt wurde – was bedeutete, dass das Theater nun auch für die Entwicklung der Bühnenkunst in den Regionen Mährens und Böhmens zuständig war. Ab 1954 trug die Bühne den Namen der Gebrüder Mrštík. Wenig bekannt ist heute, dass seinerzeit die Benennung nach dem Minister Zdeněk Nejedlý drohte – worauf die gewitzten Theaterleute sich an die Gebrüder Mrštík erinnerten und diese auf ihren Schild hoben, obgleich sie sich abgesehen von der Tragödie Maryša nicht weiter zu deren Vermächtnis bekannten. Ihren Sitz hatte die Bühne am Jakubské náměstí (wo heute das Theater Bolek Polívka residiert), erst im Jahr 1965, als das Opernensemble des Nationaltheaters in den damals fertiggestellten Neubau umzog, übernahm das zweite Schauspielensemble der Stadt den Bau an der Lidická ulice, wo es bis heute zu finden ist. Nach den Gebrüdern Mrštík war die Bühne bis 1988 benannt, als sie zwangsweise unter dem Namen Brünner Theater mit dem Theater Večerní Brno (Abendliches Brno) und dem Puppentheater Radost vereinigt wurde. Dieser Koloss zerfiel zum Glück nach der Revolution von 1989, womit unsere Bühne ihren heutigen Namen Stadttheater Brno annahm. Seit Juni 1993 befindet sich das Theater in der Trägerschaft der Stadt Brno.
Unter den Leitern des Theaters fanden sich über die Jahre viele große Namen – genannt seien wenigstens die wichtigsten wie Prof. Rudolf Walter, Dr. Libor Pleva, Antonín Kurš, Jan Fišer oder Milan Pásek, der die Bühne als Regisseur und Direktor schon in ihren Anfängen leitete und ihr dann als Direktor erneut von den sechziger Jahren bis zum Ende der achtziger Jahre vorstand, und schließlich Stanislav Moša, der heutige Direktor und frühere künstlerische Leiter der Schauspielbühne, unter dessen Leitung das Theater einen grundlegend neuen Kurs einschlug. Eine Zeit großer Veränderungen begann 1992, als Stanislav Moša zum Direktor ernannt wurde. Zunächst musste für wirtschaftliche Stabilität gesorgt und ein allzu groß gewordener Verwaltungsapparat abgebaut werden. Gleichzeitig begann der Umbau der nicht besonders geeigneten Räumlichkeiten des früheren Kinos zu einem modernen und funktionellen Theatersaal, für dessen Gestaltung der Architekt Miroslav Melena verantwortlich zeichnete. Im Herbst 1995 wurde der neue Saal eingeweiht, der nunmehr auch anspruchsvollen Produktionen des Musiktheaters gewachsen war. Dank ihrer durch die Theaterleitung initiierte Neuausrichtung auf hochwertige Musicalproduktionen in Kombination mit modern inszenierten klassischen Titeln erfreute sich die Bühne beim Publikum immer größerer Beliebtheit. Ein wichtiger Impuls war auch die Einführung eines neuen Studienfachs für Musicaldarsteller an der Brünner Janáček-Akademie der musischen Künste. Die Absolventen dieser Hochschule wurden zu den ersten Vorboten eines sich neu entwickelnden Genres, wo das Zusammenspiel dreierlei Talente gefordert ist – des schauspielerischen, des gesanglichen wie auch des tänzerischen. Zwar bestanden zu jener Zeit am Stadttheater Brno ein Schauspiel- und ein Musicalensemble, doch hatte diese Unterteilung rein administrativen Charakter, und so übernahmen denn Musicaldarsteller auch Schauspielrollen und umgekehrt. Flexibilität und Vielfalt waren die Hauptmarkmale dieser Ära. Es gelang dem Theater, Kooperationen mit ausländischen Agenturen anzuknüpfen, und die Bühne konnte auch all die anspruchsvollen Lizenzbedingungen erfüllen, womit in unserem kleinen Theater an der Lidická ulice nunmehr auch weltbekannte Titel zu erleben waren.
Zu jener Zeit begann sich jedoch auch abzuzeichnen, dass die damalige Kapazität von etwa 370 Zuschauerplätzen nicht mehr ausreichen würde. Auch stellten neue Musicals immer höhere Anforderungen hinsichtlich der Bühnentechnik, so dass sich Stanislav Moša schon ab seinem Antritt als Theaterdirektor um die Schaffung einer zweiten Bühne bemühte, die den modernen Trends besser entsprechen sollte. Schließlich gelang ihm das nahezu Unmögliche, als unter Mitwirkung des Ministeriums für Kultur der Tschechischen Republik und des Magistrats der Stadt Brno im hinteren Trakt des bestehenden Theaters ein moderner Saal für moderne Musicalinszenierungen errichtet wurde. Am 17. November 2001 wurden die Grundsteine gelegt, deren Herkunft einige Symbolkraft hatte. Der erste stammte aus Dolní Věstonice, einem Ort wertvoller paläontologischer Funde, der von Karel Absolon einst als das mährische Pompeji der Urzeit tituliert wurde. Dieser Stein soll die Bemühung der neuen Bühne verdeutlichen, eine kreative Plattform für Gegenwartsautoren zu bieten, welche die wichtigste Garantie für ein wirklich lebendiges Theater darstellen. Der zweite Stein wurde am Broadway, dem Mekka des Musicals, von niemand anderem als Miloš Forman gehoben, der gleichzeitig unserem Theater die Rechte für die einzigartige Premiere seines Musicals Hair überließ, welches unsere Bühne als weltweit einziges Theater nach seinem Filmdrehbuch spielte. Unterdessen wuchs der Bau der Architekten Roman Mach und Jozef Kubín unter der beratenden Mitarbeit von Emil Konečný und in Zusammenarbeit mit dem Innenarchitekten Miroslav Svanovský vor den Augen der Brünner in die Höhe. Bestätigung ihrer erfolgreichen Arbeit waren unter anderem auch die Auszeichnungen, mit denen der Bau bedacht wurde: 1. Preis in der Konkurrenz um das beste Gebäude im Kreis Südmähren, Bau des Jahres 2004, Ehrenpreis im Wettbewerb um das beste Investitionsprojekt des Jahres TOP INVEST. Die Einweihung der Musikbühne des Stadttheaters Brno wurde am 1. Oktober 2004 mit der Premiere des Musicals Hair gefeiert.
Seit der feierlichen Eröffnung sind nunmehr schon einige Jahre vergangen, und die Musikbühne hat in ihrem Repertoire eine Vielzahl an Titeln, darunter auch solche weltbekannten Perlen wie Les Misérables, Evita, Jesus Christ Superstar, Fame, Cats, Chicago, Frühlings Erwachen, Die Hexen von Eastwick, Jekyll & Hyde, Mary Poppins, Flashdance, Saturday Night Fever, Mamma Mia!, Pretty Woman, Matilda, The Addams Family und viele weitere. Von Anfang an jedoch war es ein zentraler Punkt der Planungen, die Musicalbühne auch für Aufführungen moderner tschechischer Titel zu nutzen. So entstanden denn für diese Bühne ganz neue Werke wie Nana, Markéta Lazarová, Odyssee, Ballade über die Liebe, Rot und Schwarz, Die wilde Bara, Die Hölle, Das Fegefeuer, Das Paradies, Don Juan oder Neun Kreuze.
Auf den Brettern der Musikbühne wurden auch schon zahlreiche traditionelle und beim Publikum beliebte Titel aufgeführt, so etwa die Operetten Die lustige Witwe, Die Fledermaus, Orpheus in der Unterwelt, Mam´zelle Nitouche, My Fair Lady (vom Krautmarkt) oder Musicals aus anderen europäischen Ländern wie Die Päpstin, Mozart!, Zorro, Jánošík oder Auf Glas gemalt, TITANIC, Chaplin, The Last Ship, Whistle Down the Wind, Nine, Imagine This..., Die Schatzinsel oder Der Medicus. Große Erfolge konnten hier auch Titel des traditionellen Schauspielrepertoires verbuchen, die auf der riesigen Bühne realisiert wurden. Den Anfang machte Shakespeares Drama Der Sturm, gefolgt vom düsteren Namen der Rose. Erst im Mai 2014 kam ein weiterer Schauspieltitel hinzu, mit dem Kaufmann von Venedig wiederum ein Stück von Shakespeare. Es folgten König Lear und die Komödie Der Geizige, jeweils mit dem genialen Boleslav Polívka in der Hauptrolle. Auf der Musikbühne konnte für alle diese Titel eine interessante szenische Gestaltung realisiert werden, und durch ihre Größe bot sie dem Publikum ein bis dahin ungekanntes Theatererlebnis.
Zahlreiche namhafte Künstler haben Werke für die Musikbühne geschaffen. Genannt seien etwa Hana und Petr Ulrych, Zdenek Merta, Jiří Žáček, Pavel Fieber, Miloš Štědroň, Milan Uhde, Zbyněk Srba, Šimon Caban, Vašo Patejdl, Eduard Krečmar, Petr Kofroň, Juraj Deák, Christoph Weyers, Igor Barberić oder Juraj Nvota.
Zum zehnjährigen Jubiläum hat das Theater auch eine umfangreiche Publikation mit dem Titel 10 Jahre Musikbühne des Stadttheaters Brno herausgebracht, die einen Rückblick auf die vorausgegangenen Jahre bietet. Zehn Jahre später folgte die Publikation Zwanzig Jahre Musikbühne. Ein weiteres Buch erschien auch zum fünfundsiebzigsten Gründungstag des Stadttheaters Brno. Neben den genannten Publikationen werden die traditionellen Jahrbücher herausgegeben, mit denen das Stadttheater die Erinnerung an die Ereignisse der jeweils vorausgegangenen Spielzeit wachhalten und die Tätigkeit seiner vielen Mitarbeiter würdigen möchte.
Ab dem Beginn der neunziger Jahre unternahm das Stadttheater auch Tourneen in andere europäische Länder. Den Anfang machte eine lange Serie von Vorstellungen der West Side Story in Deutschland und Österreich. Bald folgten weitere Titel und andere Länder, und das Stadttheater Brno machte sich einen Namen in allen Winkeln Europas. Regelmäßig arbeitet unsere Bühne unter anderem mit den Theatern in Ingolstadt oder in Wiltz zusammen. In den letzten zehn Jahren, als sich das Theater dank der technischen Möglichkeiten der Musikbühne, vor allem aber auch durch das hohe Interpretationsniveau seiner Darsteller an zunehmend anspruchsvollere Titel der weltweiten Musicalszene wagen konnte, nahm auch die Zahl der Gastspiele im Ausland rapide zu. So gastierte unser Theater in Belgien, Dänemark, Frankreich, Kroatien, den Niederlanden, Luxemburg, Deutschland, Italien, Spanien oder der Schweiz. Dabei ist zu bemerken, dass diese Titel meist vollständig oder teilweise auf Englisch, Französisch, Deutsch oder Spanisch einstudiert werden. Das Stadttheater Brno ist Stammgast zum Beispiel beim Musikfestival im luxemburgischen Wiltz oder den Festspielen im österreichischen Gars am Kamp und tritt regelmäßig auch in Ingolstadt auf.
Auch abseits seiner eigenen Bühne ist das Stadttheater Brno aktiv, so etwa auf der Freilichtbühne im Bischofshof. Dieser magische Ort im historischen Zentrum der Stadt zwischen Zelný trh und Kapucínské náměstí stellt eine Bereicherung des sommerlichen Kulturangebots dar und beschert seinen Besuchen ganz besondere Theatererlebnisse.
In den letzten Jahren entstanden direkt für die Bühne im Bischofshof einige ganz neue Inszenierungen, so etwa die Legendenerzählung mit Gesangseinlagen Baron Trenck, welche ebenso spannend wie romantisch die abenteuerliche Laufbahn Trencks nachzeichnet und dabei perfekt mit dem historischen Ambiente des Bischofshofs harmoniert, während auch die vielfältigen Verbindungen Trencks zu Brünn, wo überdies der Lebensweg des berühmten Barons endete, beleuchtet werden, oder das Ballett-Schauspiel Kyrill und Method, welches im Rahmen der Feierlichkeiten zum 1150. Jahrestag des Eintreffens der Slawenapostel in Mähren aufgeführt wurde. Für das Jahr 2015 bereitete das Autorentrio Stanislav Slovák – Jan Šotkovský – Petr Štěpán eine Inszenierung mit dem Titel Mendel oder Die Revolte der Erbsen vor, die dem Begründer der Erblehre Gregor Johann Mendel gewidmet war. Die Premiere des Stücks stand in Verbindung mit der Eröffnung des neuen Wissenschaftszentrums „Mendelianum – die attraktive Welt der Genetik“, welches gerade im Bischofshof des Mährischen Landesmuseums untergebracht wurde, wo Mendel einst forschte und arbeitete. Auch im Sommer 2014 bekam das Publikum eine Premiere geboten, als das Stadttheater Brno ein wahres Kleinod des tschechischen Musicalschaffens in sein Repertoire aufnahm – am 22. Juni 2014 präsentierte es seinen Zuschauern die legendäre Nacht auf Karlstein unter der Regie von Igor Ondříček und mit Hana Holišová in der Hauptrolle. Das Jahr 2016 wiederum stand im Zeichen der Rückkehr des legendären Musicals Radúz und Mahulena mit seiner Musik von Petr Ulrych. Im Jahr 2017 ließen sich die Autoren Slovák, Šotkovský und Štěpán durch eine der Brünner Legenden inspirieren, woraus das ausgelassene Spektakel mit dem Titel Das Brünner Rad entstand. Im Sommer 2018 hauchte das Theater den genialen Versen Vítězslav Nezvals neues Leben ein, als es seine Bearbeitung des berühmten Romans Die drei Musketiere von Alexandre Dumas auf die Bühne brachte. Im Jahr 2019 fand Shakespeares unsterbliche Tragödie Romeo und Julia ihren Weg auf die Freilichtbühne im wunderschönen Bischofshof. Das folgende Jahr stand im Zeichen der Covid-Maßnahmen, so dass die nächste speziell für diese Bühne geschriebene Inszenierung erst im Mai 2021 ihre Uraufführung erlebte – Napoleon oder Die Alchemie des Glücks. Ein Jahr darauf erlebte ein neues Stück über das Leben der beiden Königinnen Elisabeth von Böhmen und Elisabeth Richza mit dem Titel Elisabeth/Richza seine Premiere. Darauf folgten das neu geschriebene Theaterstück Krokodile aus der Svratka oder Mozart in Brünn und eine erfolgreiche Adaption von Bedřich Smetanas berühmter Oper Die verkaufte Braut unter dem Titel Warum sollten wir uns nicht auf Smetana freuen. Im Jahr 2025 begeht das Theater den 80. Jahrestag seiner Gründung mit der Premiere des berühmten Dramas Manon Lescaut aus der Feder von Regisseur Stanislav Moša.
Neben der Inszenierungstätigkeit kann das Stadttheater Brno auch mit vielfältigen Publikationsaktivitäten aufwarten – jeden Monat erscheint das Theatermagazin Dokořán und zu jeder Spielzeit ein inhaltsstarkes Jahrbuch, zu jeder Inszenierung geben wir ein ausführliches Programmheft heraus, daneben erscheint alljährlich ein Theaterkalender mit Fotos von den Aufführungen, aber auch CDs mit Songs von den Musicalinszenierungen.